Zwischen Herz und Verstand – Die Brücke des Schreibens

Unser Gehirn ist in zwei Hälften geteilt – die linke und die rechte Hemisphäre. Beide sind durch ein Nervenbündel, den Corpus Callosum,

miteinander verbunden. Dort fließen Abermillionen Informationen pro Sekunde hin und her: Logik trifft auf Intuition, die Sprache auf Bilder,

feste Struktur auf weiche Gefühle.

In seltenen Fällen – etwa nach Operationen, Verletzungen oder bestimmten neurologischen Erkrankungen – kann diese Verbindung gestört oder sogar durchtrennt sein. Dann spricht die Wissenschaft vom Split-Brain-Phänomen.

Plötzlich arbeitet jede Gehirnhälfte für sich alleine. Die eine liest, die andere zeichnet. Ein Teil weiß, was sie will – der andere greift einfach zu.

So kann es passieren, dass eine Hand scheinbar ein Eigenleben entwickelt – das nennt man die Alien-Hand-Störung.

Eine Hand öffnet zum Beispiel eine Schublade, während die andere sie gleich wieder schließt. Die Person erlebt ihre eigene Bewegung, als wäre sie „fremdgesteuert“.

So bizarr das klingen mag, offenbart es etwas Tiefes über uns Menschen:
Wir sind Wesen aus Gegensätzen. Aus Denken und Fühlen - Kontrolle und Hingabe. Wenn diese Anteile, aus welchen Gründen auch immer, nicht in Kommunikation miteinander stehen, beginnen sie, „getrennt“ zu handeln – innerlich wie äußerlich.

 

Beim handschriftlichen Schreiben begegnen wir genau dieser Schnittstelle.
Unsere rechte Hand (symbolisch oft mit der linken Gehirnhälfte verbunden – der rationalen, sprachlichen) führt den Stift,

während die rechte Gehirnhälfte (intuitiv, bildhaft, rhythmisch) das Fließen, die Bewegung und den Ausdruck formt.

Wenn wir bewusst und im eigenen Tempo schreiben – langsam, achtsam und fühlend –, entsteht ein Dialog zwischen diesen beiden Welten.

Schreiben wird dann zu einer Art innerem Brückenbau zwischen Herz und Verstand, zwischen rechter und linker Gehirnhälfte.

Vielleicht liegt darin die eigentliche Heilkraft des Schreibens:
Es vereint, was im Denken allein oft getrennt ist.


 Fazit:
Das Phänomen der „Alien Hand“ erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die Kommunikation zwischen unseren beiden inneren Polen lebendig zu halten. Jede bewusste Linie eines Buchstabe kann dazu beitragen, die geteilte Welt in uns in Sanftheit und Stille wieder verbinden. 

Für diejenigen, die schon immer mit der Hand geschrieben haben, ist dies ein ganz normaler Zustand. Und für alle, die sich dem handschriftlichen Schreiben wieder öffnen, beginnt eine spannende Reise ins Innerste ihrer beiden Wesen. Diese Verbindung zu halten, liegt allein in der Absicht und der Disziplin. Dabei kommt die Freude an der eigenen Ehrlichkeit und dem kontinuierlichen Interesse am eigenen Sein nicht zu kurz. Probieren geht über studieren.

Viel Freude beim Schreiben.

Marika Jacqueline Mitterhofer