Ee wie Erwino – der Meister der sanften Annahme

Er sieht unscheinbar aus, dieser kleine Buchstabe E e, mit verschiedenen Schreibweisen. Und doch steckt in ihm ein Meisterschlüssel

der Achtsamkeit und Akzeptanz.
Ich nenne dieses Symbol mit den zwei Halbbögen und einem Tröpfchen liebevoll Erwino, den Akzeptierenden.
Er drängt sich nicht auf, macht sich nicht wichtig, aber, bei genauer Betrachtung ist er ist überall.
Genauer gesagt: 17,4 % aller Buchstaben im Deutschen Sprach- und Schreibgebrauch sind ein E e.

Damit ist er unangefochtene Nummer 1 der Alphabet-Häufigkeitsliste.

 

Die weiche Kraft der Biegung

Betrachte mit mir die Form des Buchstaben – mit Liebe, mit Offenheit.
Schon damit aktivierst du die ersten beiden Qualitäten, die durch das Schreiben weicher Bögen in dir gestärkt werden dürfen.

Rundungen sind für viele Menschen herausfordernder als gerade Linien.
Kein Wunder – denn unsere Schriftgeschichte begann mit Stöckchen und Lehm, mit der Keilschrift,

deren Zeichen ausschließlich aus geraden Linien bestanden.
Rundungen? Unmöglich auf Tontafeln.

Gerade Linien fördern analytisches Denken, Struktur, Zielorientierung. Sie sprechen den verstandesgelenkten Anteil in uns an –
und werden oft stärker von Männern genutzt.
Doch in jedem von uns wirken beide Pole: männlich und weiblichklar und fließendlenkend und empfangend.

Ein Mann mit stark entwickelter Empathie wird mehr geschwungene Muster in seiner Handschrift schreiben.
Und auch viele Frauen haben Zeiten, in denen sie zum geistigen Lineal greifen möchten, um Ordnung zu schaffen, oder um etwas klar durchzuziehen.

Fühlst du dich angespannt, ungeduldig oder streng – mit dir selbst oder deinem Umfeld –

dann übe dich im Schreiben weicher Bögen und sanfter Schlaufen.
Diese Bewegung verändert dein Schriftbild – und mit der Zeit auch dein Denken, dein Fühlen, dein Handeln.

Du wirst runder im Denken, mitfühlender im Blick und freundlicher mit dir selbst.

Der Epsilon-Bogen im Kleinbuchstaben bringt etwas ganz Besonderes mit: Er bremst ein wenig den Schreibfluss –

aber auf eine gesunde Weise - wie ein kurzes Innehalten. Ein Durchatmen für deine Hand und für dein Wahrnehmen.

Warum das wichtig ist?

Damit der obere Bogen nicht nach unten kippt und dir die Sicht nach vorne versperrt.
Genau das passiert häufig beim schnell Schreiben.
Wenn du durch den Alltag hetzt wie ein D-Zug, ohne Halt und ohne Zwischenstopp.

Offenheit braucht klare, weite Bögen.
Schon beim Schreiben kannst du beobachten, wie dein Denken gerade funktioniert.
Setze eine liebevolle Absicht, bevor du mit deinen E e Übungen beginnst:
“Jeder Bogen erinnert mich daran, offen zu bleiben – für mich selbst, für andere und für das, was sich mir heute zeigt.“
Ein schmaler Sichelbogen ist wie ein heruntergeklapptes Visier –
oder wie ein gedanklicher Regenschirm bei Sonnenschein: schützt dich, aber du verpasst das Beste.

 

Schreibstil = Lebensstil

Schwingt dein kleines e durch die Zeilen wie ein freundliches Tröpfchen,
dann gib ihm zwei freundliche Hände: links zum Empfangen, rechts zum Weitergeben.
Beide beginnen und enden auf deiner imaginären Grund- oder Basislinie – dort, wo dich immer wieder erden kannst.
Der kleine Zwischenraum im Tröpfchen e ist quick lebendig, fließend und strahlt drei starke Eigenschaften aus:
Bewegung, Wandel, Lernen.

Als ich damit begann, diesen Buchstaben mehr Achtsamkeit zu schenken, ihn und seine vielen Freunde bewusster zu schreiben,

fiel mir auf, wie oft ich ins „Ja, aber...“-Denken gerutscht war. Meine e’s hatten häufig kleine Häkchen am Anfang oder am Ende.

Unnötige Widerhaken – wie ein schriftliches Stirnrunzeln.

Vielleicht kennst du ihn auch – diesen inneren Kritiker, der ungefragt mitdenkt,

mitschreibt und am liebsten gleich das ganze Drehbuch übernimmt.

Seine Präsenz ist meist unangemessen groß, aber immer bereit für eine Korrekturanmerkung.

Heute schreibe ich meine E e's bewusst weicher. Wenn mir etwas ungewohnt erscheint, denke ich weniger in richtig oder falsch –
sondern eher in: „Ah, interessant.“ Das lässt Raum für Neues, Unbekanntes und auch Unangenehmes. 

 

e wie ehrlich - e wie entspannter.

Erwino erinnert daran,
dass ich nicht alles sofort verstehen oder lösen muss. Dass ich nicht alles kontrollieren kann – oder überhaupt soll.

Und dass innere Veränderung ganz klein beginnen darf: mit einer einzigen Absicht – und einem geschwungenen Bogen aus Tinte und Vertrauen.

Nicht alles gelingt auf Anhieb - aber auch das darf da sein.
Wie jeder Gedanke und jedes Gefühl, das sich zeigt, um gesehen und gefühlt zu werden.

Denn eines ist sicher: Nichts bleibt für immer.
Außer vielleicht das, was dich im Innersten trägt –
dein wahres Wesen, deine Seele, und ihr Wunsch zu leben und zu wachsen.



Wenn du Lust hast, nimm dir einen Moment und schreibe eine Reihe von großen und kleinen E e – mit offenen Bögen, weichen Linien.
Und dann erkenne, wie sich dein Denken dabei anfühlt.

Ich wünsche dir von Herzen lichtvolle Pfingsttage,
Momente der Stille, neue Einsichten -
und viele kleine, geschwungene Bögen voller Vertrauen.

In Verbundenheit
Marika Jacqueline Mitterhofer