Ein Blick hinter den Schleier – Gedanken über Nahtoderfahrungen, Glauben und die Kraft des geschriebenen Wortes

Nahtoderfahrungen begleiten die Menschheit seit jeher. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt,  unabhängig von Religion, Nationalität oder gesellschaftlicher Stellung,  durften einen Moment lang den Schleier lüften und einen Blick in eine tiefere Wirklichkeit werfen.

Auf dem Land, wo ich aufwuchs, sagte man ganz trocken:
„Der ist dem Tod nochmal von der Schaufel gesprungen.“
Klang, als hätte der Tod kurz mal daneben gegriffen und das Leben hatte eine Verlängerung spendiert.

In der Stiftspfarrkirche St. Philippus und Jakobus in Altötting, meinem Geburtsort, steht eine alte „Todtenuhr“ eine Standuhr aus der Pestzeit, auf der ein ziemlich schlecht gelaunt wirkendes Skelett jede Sekunde die Sense schwingt. Der Totenkopf grinst dabei auf eine Art, die weder Kinder noch Erwachsene wirklich beruhigt.
Ganz gleich, wie alt du bist:
Diesem fleißigen Sensenmann bei der Arbeit zuzusehen, kann einem schon ein wenig die Nackenhaare aufstellen.

Als Kind erklärte man mir dann auch ganz pragmatisch: „Mit jedem Schlag holt er sich einen.“
Keine besonders tröstliche Vorstellung – aber sie prägte früh mein Bewusstsein dafür, dass dieses Abenteuer hier auf Erden eben endlich ist.

Direkt neben dieser unermüdlich tickenden Uhr liegt, kunstvoll gebettet in einen gläsernen Sarg, das Skelett  des kaiserlichen Feldherrn Johann T’Serclaes von Tilly. Ein Anblick, der zeigt, dass man früher offenbar großen Wert darauf legte,  selbst nach dem Tod noch einen gewissen Eindruck zu hinterlassen – für alle Fälle. Die Kunst des Erinnerns war damals also eng verknüpft mit der Realität des Sterbens.
Und als Kind fand ich es gleichzeitig faszinierend und ein bisschen gruselig, dass ein in Samt und Seide gekleidetes Skelett in unserer Kirche residierte,
fast so, als würde es leise mitklappern, wenn draußen die Wallfahrer vorbeizogen.

Apropos Wallfahrer:
Meine Kindheit war tief geprägt vom Glauben. Und vom stetigen Murmeln der Wallfahrer,  die stundenlang das Vaterunser und den Rosenkranz betend an unserem Haus vorbeizogen. Es war wie ein fließender Klangteppich aus Fürbitten, der durchs Dorf rollte.

An diesen besonderen Tagen wurde unsere Straße festlich herausgeputzt:
Die Eingänge unserer Häuser schmückte man mit Blumen, und aus so manchem Fenster wehten katholische oder christliche Tücher –
eine bunte Mischung aus Glaube, Hoffnung und einem Hauch dörflicher Kreativität. 

Neugierig wie ich war, habe ich mich eines Tages einfach eingereiht, nur um zu erfahren, wie es sich anfühlt, Teil dieser Bewegung zu sein.
(Hinweis: Nach ein paar Kilometern wusste ich, dass Pilgern wirklich nicht nur eine spirituelle, sondern auch eine sportliche Disziplin ist.)

 

Diese Offenheit – einfach selbst zu erleben, anstatt bequem zu urteilen – begleitete mich auch später durchs Leben.
Ich reiste ausgiebig zu den Tempeln nach Indien und Bali, freundete mich mit buddhistisch belesenen Menschen an, führte tiefgründige Gespräche mit jüdischen Bekanntschaften über Gott und die Welt und war sogar einige Jahre mit einem Algerier liiert,der mir den Islam auf seine ganz persönliche Weise erklärte – ungefiltert, herzlich und frei von religiösem Überbau. Für meine bayrischen Eltern war das vermutlich eine Art Hochleistungstraining in Sachen Toleranz. Nach dem ersten Schreck versuchten sie es tapfer einzuordnen. 
Meine geliebten Eltern, die nie Urlaub gemacht hatten, weder mit uns Kindern noch allein.
Sie gehörten zu jener Generation auf dem Land, die allem Fremden mit einer Mischung aus Skepsis und dem Satz „Man hört ja so viel“ begegnete.

In ihrer Welt hieß Sicherheit, dass man blieb, wo man war, und Neues lieber erst mal von weitem anschaute – oder besser gar nicht.
Dass ich plötzlich Glaubenswelten jenseits des Kirchturms erforschte, war für sie ungefähr so nachvollziehbar,
wie wenn die Kuh vom Nachbarn beschlossen hätte, Pilgerreisen zu unternehmen.

Mein spiritueller Reisepass wurde durch all die Erfahrungen ordentlich abgestempelt. 

Doch egal, wie viele Stempel Reisepass sammelte – die tiefste Berührung kam nicht aus fernen Ländern oder fremden Kulturen.
Es waren die Geschichten jener Menschen, die kurz aus dem Licht zurückgekehrt waren:
Menschen, die jenseits unserer Welt bedingungslose Liebe, grenzenlose Freiheit und eine Stille erfahren hatten,
gegen die jeder Wellness-Prospekt wie ein lauer Aufguss wirkt.

Viele von ihnen beschrieben, wie schwer es ihnen fiel, wieder in eine Welt einzutauchen, die oft so rau, so laut und so schmerzhaft an der Oberfläche klebt. Und ich verstehe sie nur zu gut. Oft schon habe ich mich gefragt:
Habe ich vielleicht selbst schon eine Nahtoderfahrung erlebt, die ich einfach vergessen habe?
Oder erinnere ich mich durch ihre Erzählungen, weil meine Seele schon immer ein feines Gespür für die andere Seite hatte?

All diese Erfahrungen – die Reisen, die Religionen, die Begegnungen mit anderen Kulturen, und die Erzählungen vom Licht – sie gehören gleichwertig zu meiner eigenen Seelenreise. Sie sind wie einzelne Mosaiksteine auf dem Weg meines Verstehens.

 

Was mir dabei besonders auffiel:
Während ich in der christlichen Anschauung oft vergeblich nach einem klaren Konzept von Ursache und Wirkung suchte,
fand ich in den östlichen Lehren, besonders im Buddhismus und Hinduismus, ausführliche und erstaunlich logische Erklärungen zu dem großen kosmischen Prinzip namens Karma. Was ich säe, das werde ich ernten.
Oder bodenständiger gesagt:
Wie ich in den Wald hineinrufe, so schallt es zurück.

Diese Einsicht brachte mir etwas, das ich lange vermisst hatte: ein feines Gefühl von Mitverantwortung – und die stille Erkenntnis, dass nichts verloren geht, sondern alles irgendwann auf leisen Sohlen wieder an unsere Tür klopft.

Im Prinzip heißt das: Wir kommen immer wieder.
Manchmal mit einem Blumenstrauß, manchmal mit einer offenen Rechnung im Gepäck – je nachdem, was wir mit welcher Absicht ausgesät haben.
Und genau diese Absicht ist der Schlüssel. Denn es geht nicht nur darum, was wir tun, sondern auch, warum und wie wir es tun.

Positives wie Negatives – alles wartet geduldig auf uns.

 

Nur eine spirituelle Tradition hält hier eine spannende Ausnahme bereit:
Die Jain-Religion geht davon aus, dass es ein besonderes Reich gibt – das Mahavideh Kshetra –,
in dem ein Wesen sein Karma beendet hat, ohne eine weitere Rückkehr in die Welten des ständigen Kommens und Gehens.

Eine kurze Zusammenfassung einer sehr tiefen Lehre:
Wer dort ankommt, hat endgültig aus dem Hamsterrad ausgecheckt und braucht keinen neuen Fahrplan mehr für weitere irdische Abenteuer.

Vielleicht erreiche ich, die ich diese alten Lehren nicht von Kindheit an verinnerlicht habe, kein Mahavideh Kshetra – keinen Ort völligen Gleichmuts, wo sich Karma still und alle Verknotungen sich im Vorfeld schon aufgelöst haben. 

Aber was ich tun kann, ist dies:
Mit jedem bewussten Gedanken, jedem klaren Wort und jedem freundlichen Schritt ein kleines Stück Himmel auf Erden pflanzen.
Nicht vollkommen oder makellos – sondern ehrlich, authentisch, und genau von dem Punkt aus, an dem ich gerade stehe.

 

Es gibt diesen amerikanischen Ausdruck: „Fake it till you make it.“
Spirituell gesehen bringt mich das ungefähr so weit wie ein Sandsack beim Schwimmen.
Und ehrlich gesagt, habe ich mich in vielen religiösen Gruppen und Glaubensrichtungen oft gewundert, wie viel leichter es ist,

große Ideale zu verkünden, als sie im Alltag tatsächlich zu leben.  Lesen, rezitieren, philosophieren – das geht schnell.
Aber das stille, tägliche Umsetzen, das kleine, unsichtbare Tun – dort beginnt meine eigentliche Aufgabe: bei mir selbst.
Und zwar in echter, ungeschminkter Ehrlichkeit. Vielleicht ist genau das die größte Kunst: nicht perfekt zu glänzen, sondern mutig genug zu sein,

echt zu bleiben – trotz aller inneren Baustellen.

Im unvollkommenen Hier und Jetzt das Licht zu erkennen, das in Wahrheit nie verlöscht.

Bei so viel Klarheit aus so vielen Richtungen konnte ich irgendwann nicht mehr einfach nur zuschauen.
Es blieb mir eigentlich nur eine Wahl: mich selbst auf den Weg zu machen.
Nicht irgendwohin, sondern zu dem, was in mir ruft und mein Leben in Hingabe an das Göttliche in mir selbst zu leben.


Die Forschung von Raymond A. Moody, Elisabeth Kübler-Ross und Pim van Lommel bestätigte all das noch auf ihre Weise:

Tausende Berichte, über alle Grenzen von Religion und Kultur hinweg, klingen wie Variationen eines einzigen Liedes:
Es geht um Liebe, um Freiheit und um Sein. 

Vielleicht wäre es Zeit, dass manche theologischen und medizinischen Lehrbücher endlich einmal kräftig abgestaubt werden.
Mit offenem Fenster – und einer großen Portion frischer Luft. Denn die wahren Reisen finden selten auf Landkarten statt.
Sie spielen sich ab in den Zwischenräumen unserer Seele – genau dort, wo alles beginnt und nichts verloren geht.

 

Mit etwa 21 Jahren – frisch geschieden, reich an Fragen und eher spärlich an Antworten – erinnerte ich mich daran, dass ich als Kind stets gebetet hatte.
Irgendwann in der wilden Pubertät hatte ich dieses Ritual über Bord geworfen, irgendwo zwischen Weltverändernwollen und Hausaufgabenvergessen.

Also begann ich wieder – einfach, leise, auf meine eigene, etwas unbeholfene, aber ehrliche Weise.

Und siehe da: Seither durfte ich kleine und große Wunder erleben. Seither durfte ich kleine und große Wunder erleben.
Manchmal leise und unscheinbar, fast wie eine zufällige Begegnung im Alltag, manchmal klar und deutlich, wie eine Antwort, die genau zur rechten Zeit kommt.

 

Eine Nahtoderfahrung hat mich besonders berührt, weshalb ich sie hier mi dir teile: die Geschichte von Daniel König.
Seine spritzige, authentische und fröhliche Art macht es leicht, sich beim Zuhören sicher und gut aufgehoben zu fühlen.

Ich habe den Blick hinter die Kulissen erlebt“ | Daniel Königs Nahtoderfahrung

https://youtu.be/KQEkwJ7itRI?si=Kokm7bbGEjyb80tM
Ich werde sie hier verlinken – vielleicht spürst auch du beim Lesen eine Ahnung davon,
welche Liebe uns erwartet und welches Geschenk es ist, hier auf der Erde noch ein wenig weiterzuwirken.

 

Kein aufrichtiges Gebet bleibt ungehört.
Ob geschrieben, gedacht oder gesprochen – es findet seinen Weg, leise und sicher, auch wenn unsere Augen den Pfad nicht immer sehen können.

Möge dein Herz berührt werden von der Erkenntnis, dass wir verbunden sind – hier und jenseits des Sichtbaren.

Von Herzen,
Marika Jacqueline Mitterhofer